Erbe muss dem Pflichtteilsberechtigten sämtliche Kontoauszüge der letzten zehn Jahre zeigen
Pflichtteilsberechtigte haben in aller Regel keinerlei Kenntnis vom Wert des Nachlasses, der dem Erben zugefallen ist und sie könnten ihren Pflichtteilsanspruch damit auch nicht berechnen –er drohte damit leerzulaufen. Pflichtteilsberechtigte können sich nämlich auch nicht auf anderem Wege Gewissheit verschaffen, denn z.B. Banken erteilen nur dann Auskunft, wenn ein Erbschein vorliegt – und diesen erhält der Pflichtteilsberechtigte ja gerade nicht. Aus diesem Grund sieht das Gesetz für den Pflichtteilsberechtigten einen Auskunftsanspruch gegen den Erben vor, der in der Kanzlei eines Rechtsanwalts im Erbrecht häufig zum Einsatz kommt.
Zusätzlich zum Pflichtteilsanspruch kann aber auch noch ein so genannter Pflichtteilsergänzungsanspruch bestehen, wenn der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre Schenkungen an Dritte vorgenommen hat. Dieser Pflichtteilsergänzungsanspruch ist jedoch auch nichts wert, wenn der Erbe lediglich den Stand des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalles mitteilen und über die zuvor vorgenommenen Schenkungen keine Auskunft erteilen müsste – der Erblasser könnte ja vorher sein gesamtes Vermögen verschenken, um den Pflichtteilsberechtigten „auszutrocknen“. Es ist daher von entscheidendem Interesse für den Pflichtteilsberechtigten, auch hierüber Auskunft zu erhalten. Dies sieht das Gesetz zwar vor, was aber, wenn der Erbe selbst keinerlei Kenntnis von Schenkungen hat? Dieses Problem tritt häufiger auf, insbesondere wenn Familienfremde als Erben eingesetzt werden. Einen Anhaltspunkt für solche Schenkungen bieten die Kontoauszüge des Erblassers – die meist unvollständig sind. Die nachträgliche Beschaffung von Kontoauszügen durch die Erben ist dann aber nicht nur mit Arbeit, sondern auch mit finanziellem Aufwand verbunden, weshalb sich Erben gelegentlich weigern, die Kontoauszüge zu beschaffen und dem Pflichtteilsberechtigten zur Verfügung zu stellen. Das Zivilrecht geht mit Auskunftsansprüchen recht zurückhalten um, sie finden sich meist nur im Erbrecht. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat nun in einer Entscheidung vom 26. Januar 2016 festgestellt, dass den Erben die Verpflichtung dazu trifft, sämtliche Kontoauszüge der letzten zehn Jahre zu beschaffen, auszuwerten und dem Pflichtteilsberechtigten mitzuteilen, ob Anhaltspunkte für Schenkungen bestehen. Erforderlich ist allerdings, dass der Pflichtteilsberechtigte zunächst Anhaltspunkte dafür darlegen kann, dass der Erblasser tatsächlich lebzeitig Schenkungen an Dritte vorgenommen hat. Solche Anhaltspunkte können, wie in dem Urteil des OLG Stuttgart zu Grunde liegenden Sachverhalt, bereits dann vorliegen, wenn der Kontostand des Erblassers nahezu kein Guthaben aufweist, obwohl dieser zumindest monatliche Einkünfte in Höhe von 1.720,- € hatte. In einem solchen Fall liegt die Möglichkeit von Schenkungen nahe, da die monatlichen Einkünfte ja irgendwo geblieben sein müssen.
Es ist nun Sache des Erben, diese Information zu beschaffen. Hierzu muss er wiederum von seinem Auskunftsrecht gegenüber den Banken und Sparkassen Gebrauch machen. Es reicht hierfür nicht aus, wenn der Erbe diesen Auskunftsanspruch lediglich an den Pflichtteilsberechtigten abtritt, damit dieser ihn dann selbst geltend macht. Der Pflichtteilsberechtigte muss sich aber auch nicht mit der bloßen Auskunft des Erben zufriedengeben. Er hat insbesondere das Recht, sämtliche (vollständigen) Kontoauszüge Sparbücher und andere Bankunterlagen innerhalb des Zehnjahreszeitraums einzusehen.
Auch lässt das OLG den Einwand des Erben, dass dies mit Kosten in Höhe von ca. 1.500,- € verbunden sei, nicht gelten. Ein solcher Betrag ist für den Zehnjahreszeitraum nicht unüblich und deshalb von Erben zu zahlen – vorausgesetzt, dass der Nachlass auch tatsächlich werthaltig ist. In diesem Fall gab es zwar kein Bankguthaben, dafür aber ein Mehrfamilienhaus.
Ggf. muss sich der Erbe darüber hinaus auch an die Familienmitglieder und Freunde des Erblassers wenden und diese nach Schenkungen befragen.
Bei Fragen im Bereich des Erbrechts und des Pflichtteilsrechts stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt gerne zur Verfügung.
OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. Januar 2000 16,19 W 78/15
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