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    Erbengemeinschaften entstehen immer ohne den Willen der beteiligten Erben – nämlich entweder durch Anordnung im Testament, wenn mehrere Erben eingesetzt werden oder aufgrund gesetzlicher Erbfolge, weil ein Testament fehlt. Es ist deshalb das gesetzgeberische Leitbild, diese Zwangsgemeinschaft so schnell wie möglich aufzulösen. Aus diesem Grunde hat er die Erbengemeinschaft recht unattraktiv ausgestaltet. Sie ist, so heißt es, „auf Auseinandersetzung angelegt“ wobei mit Auseinandersetzung nicht Streit gemeint ist, sondern die Auflösung der Gemeinschaft.

     

    Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft

     

    Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ist vom Prinzip her einfach, aber im Detail schwierig. Zunächst müssen alle Nachlassverbindlichkeiten berichtigt werden und die Forderungen gegen Dritte eingezogen werden, bevor der zur Verteilung anstehende Nachlass ermittelt werden kann. Sodann muss der Nachlass versilbert werden. Das Hauptproblem bei der Auseinandersetzung liegt darin, dass nicht einfach auf Auseinandersetzung geklagt werden kann. Es gibt zwar die Möglichkeit einer solchen Erbteilungsklage, allerdings kommt diese nie zum Zuge, da dort Sachwerte so gut wie nicht aufgeteilt werden können. Voraussetzung der Teilungsklage ist nämlich die Teilungsreife des Nachlasses. Ein praktisches Beispiel: befinden sich im Nachlass z.B. zwei ungefähr gleich wertvolle Wohnungen und streiten sich zwei Erben darum, so hilft die Teilungsklage nicht weiter, da der Nachlass noch nicht teilungsreif ist. Es müssen zunächst die beiden Wohnungen veräußert werden, dies geschieht notfalls durch eine Teilungsversteigerung (diese läuft nach den Regeln der Zwangsversteigerung ab), wenn sich die Erben nicht einigen können.

    Bevor die Teilungsklage erhoben werden kann, sind also mehrere andere Verfahren durchzuführen, nämlich die Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten, der Einzug der Forderungen und die Versilberung des Nachlasses. Wenn hierbei Schwierigkeiten auftreten, weil ein Miterbe nicht mitspielt oder ein Schuldner nicht bezahlen will, kann es schon Jahre dauern, bis der Nachlass überhaupt teilungsreif ist. Ebensowenig zulässig ist, eine Klage nur hinsichtlich eines Teiles des Nachlasses zu erheben, denn eine Teilauseinandersetzung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Allerdings ist es so, dass die Erben dieses ganze Prozedere nicht zwingend durchlaufen müssen, sondern sich selbstverständlich jederzeit einvernehmlich über die Verteilung des Nachlasses verständigen können – angesichts des jahrelangen Streites ist dies immer vorzuziehen. Eine solche Vereinbarung muss allerdings einstimmig getroffen werden.

     

    Verwaltung der Erbengemeinschaft

     

    In der Zeit bis zur Teilung muss die Erbengemeinschaft verwaltet werden, im Falle von Grundbesitz also die Straße gefegt und ggf. Mietverträge abgeschlossen oder Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. Da es oftmals zu Streit hierüber kommt, stellt sich die Frage, ob solche Maßnahmen einfach so beschlossen werden können. Das Gesetz sieht drei verschiedene Mehrheitserfordernisse vor: die Entscheidung eines einzelnen Mitgliedes (dies ist bei Notmaßnahmen der Fall wie z.B. des Ausfalls der Heizungsanlage im Winter. In diesem Fall kann auch ein einzelnes Mitglied eine Reparaturfirma beauftragen), die Mehrheitsentscheidung (dies ist bei gewöhnlichen Verwaltungsmaßnahmen der Fall wie z.B. der Beauftragung eines Reinigungsunternehmens) und die Einstimmigkeit (dies kommt bei allen anderen Maßnahmen inklusive des Verkaufs zum Tragen). Die Abgrenzung bereitet im Einzelfall natürlich Schwierigkeiten und jeweils anhand des Falles zu beurteilen. Es wird jedenfalls deutlich, dass dies ebenfalls erhebliches Streitpotential birgt.

     

    Das deutsche Recht geht vom sog. Vonselbsterwerb des Erben aus, d.h. der Erbe muss keine besonderen Erklärungen abgeben oder Handlungen vornehmen, wenn er Erbe werden will, denn die Erbschaft fällt ihm „von selbst  an“. Dies ist in vielen anderen Rechtsordnungen anders, so z.B. auch in Österreich, in denen der Erbe ausdrücklich erklären muss, dass er Erbe werden möchte. Da aber niemand gezwungen werden kann, für die Schulden eines anderen zu haften, braucht es eine Möglichkeit, diesen Vonselbsterwerb zu beseitigen – das Gesetz stellt sie mit der Ausschlagung zur Verfügung. Ein Erbe hat danach die Möglichkeit, die ihm angefallene Erbschaft auszuschlagen mit der Folge, dass er so behandelt wird, als wäre er niemals Erbe geworden. Eine solche Ausschlagung bietet sich zunächst an, wenn der Nachlass überschuldet ist. Aber auch wenn man aus emotionalen Gründen nicht die Erbschaft antreten möchte, kann die Ausschlagung erklärt werden, denn sie muss nicht begründet werden. Wichtig ist, dass die Ausschlagung innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Kenntnisnahme von dem „Berufungsgrund“ erklärt wird. Sie ist formgebunden und muss notariell beglaubigt bzw. zu Protokoll des Nachlassgerichts erklärt werden. Entscheidend für die Fristwahrung ist nicht die Abgabe der Erklärung beim Notar sondern der Eingang der Erklärung beim Nachlassgericht. Ist die Ausschlagung form- und fristgerecht erklärt worden, tritt an die Stelle des Ausschlagenden der nächstberufene Erbe, also meist dessen Kinder. Sind diese noch minderjährig, so sollte die Ausschlagung gleich für diese miterklärt werden, denn sonst bleiben die Kinder auf den Schulden sitzen.

     

    Die Frist ist mit sechs Wochen natürlich sehr kurz bemessen und es ist durchaus möglich, dass sich der Erbe innerhalb dieser Frist keine Vorstellungen davon machen kann, ob der Nachlass überschuldet ist oder nicht. Unter bestimmten Umständen gibt es daher die Möglichkeit, die Versäumung der Ausschlagungsfrist anzufechten. Dies ist eine Art „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“, die bei der Versäumung der Ausschlagungsfrist normalerweise nicht vorgesehen ist. Voraussetzung ist, dass ein Anfechtungsgrund vorliegt. Dieser kann ein Irrtum über den Bestand des Nachlasses sein; es gilt das gleiche Prozedere wie bei der Ausschlagungserklärung, also Erklärung gegenüber dem Notar und fristgemäßer Eingang dieser Erklärung beim Nachlassgericht.

     

    Unter Umständen kann die Ausschlagung eines werthaltigen Nachlasses sogar taktisch eingesetzt werden, um z.B. den Erbschaftssteuerbetrag zu mindern. Der Zugewinnausgleichsanspruch ist nämlich steuerfrei. Leben die Ehegatten in Zugewinngemeinschaft, so kann der Zugewinnausgleich bei Auflösung der Ehe (diese wird auch durch Tot aufgelöst) durchaus höher sein als der eigentliche Erbteil. Ist der Zugewinnausgleich quasi die gesamte Erbschaft, so kann durchaus darüber nachgedacht werden, die Erbschaft auszuschlagen und stattdessen den Zugewinn geltend zu machen – steuerfrei.

    Die Testamentsanfechtung ist ein gutes Beispiel dafür, wie weit allgemeiner und juristischer Sprachgebrauch auseinanderfallen können. Oftmals wird nämlich umgangssprachlich unter „Anfechtung eines Testaments“ jeglicher Angriff auf ein Testament, also auch die Unwirksamkeit aus Formgründen, Nichtbeachtung von Pflichtteilsrechten, Auslegungsstreitigkeiten oder falsche Erbquoten, verstanden. Dies alles hat aber mit der Testamentsanfechtung im juristischen Sinn nichts zu tun.

    Das Gesetz versteht unter der Anfechtung eines Testaments ein Instrument zur Korrektur „falscher“ Testamente. Für Situationen, in denen der Erblasser einem sog. Motivirrtum unterlag (das ist ein Irrtum über die Umstände, die das Motiv für sein Testament bildeten, also z.B. das Vertrauen auf eine lebenslange Partnerschaft) soll der Erbe die Möglichkeit haben, die Verfügung des Erblassers anzufechten, wenn der Erblasser sein Testament nicht mehr an die veränderte Situation angepasst hat. Eine weitere Konstellation ist die Übergehung von Pflichtteilsberechtigten. Wird ein Testament verfasst und kommt nach der Abfassung ein weiterer Pflichtteilsberechtigter hinzu, sei es durch Geburt eines neuen Kindes oder durch Heirat, kann die Verfügung angefochten werden.

    Umfang der Anfechtung

    Angefochten werden kann nur eine einzelne Verfügung in einem Testament und zwar nur in dem Umfang, wie der Erblasser tatsächlich einem Irrtum unterlag bzw. sie den neuen Pflichtteilsberechtigten beeinträchtigt. Ein Testament enthält häufig ja nicht nur eine einzelne Verfügung (ich setze meine Tochter als Erbin ein) sondern mehrere (Vermächtnisse, Auflagen etc.). Die Anfechtungserklärung muss sich dann immer auf eine (oder mehrere) bestimmte Verfügungen beziehen und kann nicht einfach „das Testament“ anfechten  – im Ergebnis kann es natürlich der Fall sein, dass das gesamte Testament angefochten wird.

    Folge einer Anfechtung ist die Beseitigung der angegriffenen Verfügung, d.h. an die Stelle der angefochtenen Verfügung tritt die gesetzliche Regelung; in aller Regel also die gesetzliche Erbfolge. Niemals kann die Anfechtung dazu führen, dass ein neues Testament angenommen wird, z.B. „hätte der Erblasser die wahren Umstände gekannt, so hätte er X statt Y als Erben eingesetzt“. Die Anfechtung hat also ausschließlich destruktiven Charakter, d.h. in dem Beispiel würde die Erbeinsetzung des Y beseitigt werden und an ihre Stelle die gesetzliche Erbfolge treten.

     

    Anfechtungsberechtigte, Form und Frist

    Die Anfechtung kann nach dem Tode durch diejenigen erklärt werden, die bei Beseitigung der angegriffenen Verfügung unmittelbar begünstigt wären. Aber auch eine Anfechtung durch den Erblasser selbst ist möglich – wie kann das sein, der Erblasser kann doch einfach ein neues Testament errichten (link testamentserrichtung)? Solch eine Selbstanfechtung betrifft vor allem Erbverträge, in denen sich Erbvertragsparteien den Rücktritt nicht vorbehalten haben und deren Verfügungen deshalb bereits zu Lebzeiten bindend geworden sind. In diesen Fällen kann auch der Erblasser selbst seine Verfügung anfechten, da er ja keine andere Möglichkeit hat, anderweitig wirksam zu testieren und so auf veränderte Situationen zu reagieren.

    Die Anfechtung muss innerhalb eines Jahres nach Kenntnis vom Anfechtungsgrund erklärt werden. Nur wem gegenüber? Der Erblasser ist ja tot. Erklärungsempfänger ist das Nachlassgericht, eine Abteilung des Amtsgerichts am letzten Wohnort des Erblassers. Die Anfechtungserklärung ist formgebunden, sie muss vor einem Notar erklärt werden. Maßgeblich für die Fristwahrung ist allerdings nicht die Abgabe der Erklärung beim Notar, sondern der Eingang der beurkundeten Erklärung beim Amtsgericht.

    Ausgeschlossen ist die Anfechtung, wenn feststeht, dass der Erblasser seine Verfügung auch in genauer Kenntnis dieses Falles getroffen hätte. Dies kann entweder durch Auslegung festgestellt werden aber auch durch ausdrückliche Anordnung im Testament.

     

    In meiner Kanzlei als Rechtsanwalt im Erbrecht begegne ich häufig zahlreichen Missverständnissen, die sich um die Anfechtung eines Testamentes ranken. Mir ein paar grundlegenden soll hier aufgeräumt werden. Es gibt zunächst einige gesetzlich festgelegte Gründe, aus denen ein Testament angefochten werden kann. Einer davon ist der Fall, in dem der Erblasser einen bei Abfassung des Testamentes noch nicht vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, also jemanden, der erst nach der Errichtung des Testaments geboren worden ist. Einfach ausgedrückt: wird nach Testamentserrichtung ein Kind geboren, so kann dieses das Testament anfechten, wenn es nicht bedacht wurde. Nicht eindeutig regelt das Gesetz hingegen die Folge einer solchen Anfechtung: Soll sich die Wirkung der Anfechtung von vornherein nur auf die Nichtigkeit in dem Umfang beschränken, der erforderlich ist, um dem Pflichtteilsberechtigten zu seinem gesetzlichen Erbteil zu verhelfen oder soll es zu einer Gesamtnichtigkeit der Verfügung kommen?

    Das Oberlandesgericht Schleswig hat in einem Beschluss vom 7. Dezember 2015 hierzu Stellung genommen und sich der letztgenannten Ansicht angeschlossen. Der Entscheidung lag ein Fall zu Grunde, in der der verheiratete Erblasser bei Testamentsabfassung einen Sohn hatte. Jahre später wurde sein zweites Kind, der jetzige Kläger geboren. In dem Testament hatte der Vater seine Ehefrau (aus steuerlichen Gründen) enterbt und sein Sohn als einzigen Erben eingesetzt. Das letztgeborene Kind hat das Testament angefochten und ein Erbschein beantragt, der ihn und seinen Bruder als Erben zu je ½ ausweist. Das Oberlandesgericht hat in dieser Entscheidung entschieden, dass die wirksam erklärte Anfechtung grundsätzlich die Nichtigkeit der gesamten letztwilligen Verfügung zur Folge hat und einzelne Verfügungen nur dann wirksam bleiben, wenn ein entsprechender Wille des Erblassers hierzu explizit festgestellt werden kann. Dies bedeutet, dass er seine Verfügung auch dann getroffen hätte, wenn im Zeitpunkt der Testamentserrichtung gewusst hätte, dass ein weiterer pflichtteilsberechtigter Erbe vorhanden wäre. Das OLG kommt vorliegend zu dem Ergebnis, dass das Testament insgesamt nichtig sei. Allerdings galt dies nicht für die Enterbung der Ehefrau, da sich der hypothetische Wille des Erblassers ermitteln ließ, dass er diese auch enterbt hätte, wenn ihm die Existenz des weiteren Kindes bekannt gewesen wäre. Es ging bei der Enterbung nämlich ausschließlich darum, steuerliche Vorteile zu erlangen. Da die Erbeinsetzung im Übrigen unwirksam war, griff insoweit die gesetzliche Erbfolge, nach der die beiden Geschwister Erben zu je ½ geworden sind.

    Diese Entscheidung zeigt erneut deutlich, wie sehr es im Erbrecht auf die genauen Umstände des konkreten Einzelfalles ankommt. Insbesondere in solchen Konstellationen sollte auf die Beteiligung eines im Erbrecht tätigen Rechtsanwalts nicht verzichtet werden.

     

    OLG Schleswig, Beschluss vom 7. Dezember 2015,3 Wx 108/15

     

    Pflichtteilsberechtigte haben in aller Regel keinerlei Kenntnis vom Wert des Nachlasses, der dem Erben zugefallen ist und sie könnten ihren Pflichtteilsanspruch damit auch nicht berechnen –er drohte damit leerzulaufen. Pflichtteilsberechtigte können sich nämlich auch nicht auf anderem Wege Gewissheit verschaffen, denn z.B. Banken erteilen nur dann Auskunft, wenn ein Erbschein vorliegt – und diesen erhält der Pflichtteilsberechtigte ja gerade nicht. Aus diesem Grund sieht das Gesetz für den Pflichtteilsberechtigten einen Auskunftsanspruch gegen den Erben vor, der in der Kanzlei eines Rechtsanwalts im Erbrecht häufig zum Einsatz kommt.

    Zusätzlich zum Pflichtteilsanspruch kann aber auch noch ein so genannter Pflichtteilsergänzungsanspruch bestehen, wenn der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre Schenkungen an Dritte vorgenommen hat. Dieser Pflichtteilsergänzungsanspruch ist jedoch auch nichts wert, wenn der Erbe lediglich den Stand des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalles mitteilen und über die zuvor vorgenommenen Schenkungen keine Auskunft erteilen müsste – der Erblasser könnte ja vorher sein gesamtes Vermögen verschenken, um den Pflichtteilsberechtigten „auszutrocknen“. Es ist daher von entscheidendem Interesse für den Pflichtteilsberechtigten, auch hierüber Auskunft zu erhalten. Dies sieht das Gesetz zwar vor, was aber, wenn der Erbe selbst keinerlei Kenntnis von Schenkungen hat? Dieses Problem tritt häufiger auf, insbesondere wenn Familienfremde als Erben eingesetzt werden. Einen Anhaltspunkt für solche Schenkungen bieten die Kontoauszüge des Erblassers – die meist unvollständig sind. Die nachträgliche Beschaffung von Kontoauszügen durch die Erben ist dann aber nicht nur mit Arbeit, sondern auch mit finanziellem Aufwand verbunden, weshalb sich Erben gelegentlich weigern, die Kontoauszüge zu beschaffen und dem Pflichtteilsberechtigten zur Verfügung zu stellen. Das Zivilrecht geht mit Auskunftsansprüchen recht zurückhalten um, sie finden sich meist nur im Erbrecht. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat nun in einer Entscheidung vom 26. Januar 2016 festgestellt, dass den Erben die Verpflichtung dazu trifft, sämtliche Kontoauszüge der letzten zehn Jahre zu beschaffen, auszuwerten und dem Pflichtteilsberechtigten mitzuteilen, ob Anhaltspunkte für Schenkungen bestehen. Erforderlich ist allerdings, dass der Pflichtteilsberechtigte zunächst Anhaltspunkte dafür darlegen kann, dass der Erblasser tatsächlich lebzeitig Schenkungen an Dritte vorgenommen hat. Solche Anhaltspunkte können, wie in dem Urteil des OLG Stuttgart zu Grunde liegenden Sachverhalt, bereits dann vorliegen, wenn der Kontostand des Erblassers nahezu kein Guthaben aufweist, obwohl dieser zumindest monatliche Einkünfte in Höhe von 1.720,- € hatte. In einem solchen Fall liegt die Möglichkeit von Schenkungen nahe, da die monatlichen Einkünfte ja irgendwo geblieben sein müssen.

    Es ist nun Sache des Erben, diese Information zu beschaffen. Hierzu muss er wiederum von seinem Auskunftsrecht gegenüber den Banken und Sparkassen Gebrauch machen. Es reicht hierfür nicht aus, wenn der Erbe diesen Auskunftsanspruch lediglich an den Pflichtteilsberechtigten abtritt, damit dieser ihn dann selbst geltend macht. Der Pflichtteilsberechtigte muss sich aber auch nicht mit der bloßen Auskunft des Erben zufriedengeben. Er hat insbesondere das Recht, sämtliche (vollständigen) Kontoauszüge Sparbücher und andere Bankunterlagen innerhalb des Zehnjahreszeitraums einzusehen.

    Auch lässt das OLG den Einwand des Erben, dass dies mit Kosten in Höhe von ca. 1.500,- € verbunden sei, nicht gelten. Ein solcher Betrag ist für den Zehnjahreszeitraum nicht unüblich und deshalb von Erben zu zahlen – vorausgesetzt, dass der Nachlass auch tatsächlich werthaltig ist. In diesem Fall gab es zwar kein Bankguthaben, dafür aber ein Mehrfamilienhaus.

    Ggf. muss sich der Erbe darüber hinaus auch an die Familienmitglieder und Freunde des Erblassers wenden und diese nach Schenkungen befragen.

     

    Bei Fragen im Bereich des Erbrechts und des Pflichtteilsrechts stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt gerne zur Verfügung.

     

    OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. Januar 2000 16,19 W 78/15

     

    Es ist eine auf den ersten Blick erstaunliche, aber durchaus übliche Gestaltungsvariante zu denen der Rechtsanwalt im Erbrecht raten wird, dass zukünftige potentielle Erben dem Erblasser gegenüber zu Lebzeiten einen Erbverzicht und einen Pflichtteilsverzicht abgeben. Für ihr Ausscheiden erhalten sie in aller Regel eine Gegenleistung. Es war bisher im juristischen Schrifttum umstritten, ob eine solche Gegenleistung als Schenkung zu qualifizieren ist oder nicht. Aber warum ist dieser Unterschied so wichtig? Dies hat im Wesentlichen drei Gründe: zum einen löst eine Schenkung – oftmals von den Parteien unerkannt – Schenkungsteuer aus. Zum anderen besteht bei einer Schenkung die Möglichkeit, diese wegen groben Undanks oder Verarmung des Schenkers zu widerrufen. Schließlich ist dies auch für die Frage relevant, ob hinsichtlich der Gegenleistungspflicht Pflichtteilsergänzungsansprüche bestehen.

    Der Bundesgerichtshof hat nun in einem neueren Urteil diese Streitfrage für die Frage der Widerrufsmöglichkeit entschieden. Diesem Urteil lag ein Fall zu Grunde, in dem die Tochter ihrem Vater gegenüber den Erb- und Pflichtteilsverzicht erklärte und als Gegenleistung hierfür Anteile an einer Wohnung erhielt. Die Tochter verhielt sich dann aber nicht so wie vom Vater gewünscht und dieser widerrief deshalb die Schenkung wegen groben Undanks. Der BGH macht in seiner Entscheidung zunächst deutlich, dass die Frage für alle drei Folgen (hinsichtlich der Steuern, Widerrufsmöglichkeit, Pflichtteilsergänzungsansprüche) getrennt beurteilt werden müsse. Dies bedeutet, dass der Ausgangspunkt der Betrachtungen weniger die Übertragung als solche ist, sondern vielmehr die Frage welche Konsequenzen diese im jeweiligen Rechtsgebiet (Steuerrecht, Schenkungsrecht, Pflichtteilsrecht) nach sich zieht. Im Extremfall kann dies bedeuten, dass man bei ein und derselben Übertragung zu zwei verschiedenen Ergebnissen gelangen kann. Die pflichtteilsrechtliche Frage hatte der BGH bereits in der Sache IV ZR 58/07 entschieden. Da die Lage hier ziemlich unübersichtlich ist, sollten solche Konstruktionen nur mit Hilfe eines im Erbrecht versierten Rechtsanwaltes „gebaut“ werden.

    Doch was sind diese schenkungsrechtlichen Wertungen, die sich so von den pflichtteilsrechtlichen Wertungen unterscheiden? Es sind in erster Linie die Widerrufsmöglichkeiten wegen Verarmung des Schenkers oder groben Undanks. Der Schenker kann wegen seiner Freigebigkeit zwar keine Gegenleistung erwarten, wohl aber Unterstützung für den Fall, dass er selber in Not gerät bzw. ein gewisses Maß an Dankbarkeit erhalten bleibt. Dies gilt auch für den Fall, dass bei der Übertragung vereinbart wird, dass der zugewendete Gegenstand auf den Pflichtteil anzurechnen bzw. im Falle der Erbauseinandersetzung auszugleichen ist. Dieses Argument zieht der BGH nun auch im Falle des Erb- und Pflichtteilsverzichts heran. Er führt dazu wie folgt aus: verliert der Zuwendende nach der Zuwendung sein verbliebenes Vermögen und gerät hierdurch in wirtschaftliche Not, ist es nicht zu rechtfertigen, ihm dem Rückübertragungsanspruch gegen den Beschenkten zu versagen nur weil der Beschenkte auf sein – in diesem Fall wertloses – Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet hat. Damit würde das Gegenteil der erstrebten Ausgleichung bewirkt, nämlich der zu Lebzeiten des Erblassers Beschenkte dauerhaft besser gestellt als der Erb-oder Pflichtteilsberechtigte.

    Eine schwere Verfehlung kann ferner mit der Pflichtteilsentziehung geahndet werden. Danach bleibt nach Ansicht des BGH die Zuwendung für ein Erb-oder Pflichtteilsverzicht eine Schenkung, wenn diese nach dem Willen der Parteien der Ausgleichung der lebzeitigen Zuwendungen bei der Erbfolge dienen soll. Ein solcher Wille ist immer dann anzunehmen, wenn die Zuwendung wertmäßig in etwa der Erberwartung entspricht oder diese gar übersteigt, denn dann erhält der Beschenkte ja nur das, was er ohnehin bekäme.

     

    Für alle Fragen rund um das Erbrecht stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt gerne jederzeit zur Verfügung.

     

    BGH, Urteil vom 7. Juli 2015, X ZR 59/13

     

    Pflichtteilsberechtigte haben gegenüber den Erben umfängliche Auskunftsansprüche. Diese sind deshalb notwendig, weil der Pflichtteilsberechtigte oftmals keinerlei Kenntnis über den Wert des Nachlasses haben wird und sich auch anderweitig hierüber auch keine Kenntnis verschaffen kann. Mit solchen Konstellationen hat man als Rechtsanwalt im Erbrecht häufig zu tun. Es gibt nun aber auch die umgekehrte Konstellation, in der ein Erbe nicht weiß, ob der Pflichtteilsberechtigte nicht selbst bereits schon zahlreiche Schenkungen von dem Erblasser erhalten hat, die er sich bei der Berechnung seines Pflichtteils anrechnen lassen muss. Die Interessenlage ist vergleichbar, allerdings gewährt das Gesetz in diesem Falle dem Erben keinen Auskunftsanspruch gegen den Pflichtteilsberechtigten wie es ihm dem Pflichtteilsberechtigten in § 2314 BGB gewährt. Bedeutet dies, dass der Erbe rechtlos gestellt ist und der Pflichtteilsberechtigte so mehr erhalten kann als ihm eigentlich zusteht? Nein, entschied das OLG Koblenz in einem Urteil vom 25. November 2015 und verwies auf die gleiche Interessenlage. Obwohl Auskunftsansprüche dem Zivilrecht meist fremd sind und hauptsächlich nur im Erbrecht existieren, würde die Versagung eines solchen Auskunftsanspruches zu Verzerrungen führen. Der Erbe muss nach Ansicht des Gerichts gegen den Pflichtteilsberechtigten einen umfassenden Anspruch auf Erteilung einer Auskunft über sämtliche Zuwendungen haben, die der Erblasser bereits an ihn getätigt hat, wobei der Rechtsgrund dieses Anspruchs im Detail ungeklärt ist (analoge Anwendung des § 2314 BGB oder Anspruch aus Treu und Glauben?). Diesen Anspruch kann der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten entgegenhalten, wenn er mit einem Auskunftsanspruch oder einem Zahlungsanspruch konfrontiert wird.

     

    Um in diesem Zusammenhang einem in der Praxis des Rechtsanwalts im Erbrecht oft auftretendem Missverständnis vorzubeugen: eine zeitliche Begrenzung für die Berücksichtigung von Schenkungen, die auf den Pflichtteil anzurechnen sind, existiert nicht. Zwar gibt es die Zehn-Jahres-Regel, die besagt, dass Schenkungen nur innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren ab Vollzug der Schenkung zu berücksichtigen sind und diese auch neuerdings auch nur im Rahmen eines Abschmelzungsmodells, nach dem die Schenkung im ersten Jahr voll zu berücksichtigen ist, im zweiten nur noch mit 90 %, im dritten Jahre nur noch mit 80 % usw. Allerdings gilt diese Regelung nur für sogenannte Pflichtteilergänzungsansprüche. Dies sind solche Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten, in denen der Erbe oder ein Dritter vom Erblasser Schenkungen vorab erhalten hat. Hintergrund ist, dass der Pflichtteilsanspruch nicht durch Schenkungen durch den Erblasser ausgehöhlt werden darf. Aus diesem Grund gilt diese Zehn-Jahres-Frist nicht für Schenkungen, die der Erblasser an den Pflichtteilsberechtigten getätigt hat und die sich der Pflichtteilsberechtigte anrechnen lassen muss.

     

    Für alle Fragen rund um das Erbrecht stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt jederzeit zur Verfügung.

     

    OLG Koblenz, Urteil vom 25. November 2015, 5 U 779/15

     

    Formulierungen in Testamenten, insbesondere gemeinschaftlichen Testamenten, sind leider oftmals weniger eindeutig als sich die Eheleute dies gewünscht haben. Diese Ungenauigkeiten kommen im Erbrecht häufig vor; bei gemeinschaftlichen Testamenten wirken sich Fehler allerdings besonders schwer aus, denn einer ihrer Hauptwesenszüge ist, dass sog. wechselbezügliche Verfügungen Bindungswirkung entfalten. Wechselbezüglich ist eine Verfügung dann, wenn der eine Ehegatte seine Verfügung nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen hätte und die Verfügungen deshalb miteinander stehen und fallen sollen. Problematisch ist die Wechselbezüglichkeit vor allem bei der sogenannten Schlusserbeneinsetzung. Das ist die Einsetzung (meistens der Kinder) auf den zweiten Erbfall, also den Tod des Längerlebenden.

    Ob eine einzelne Verfügung wechselbezüglich ist oder nicht, ist im besten Falle im Testament selbst angegeben. Fehlt aber eine solche Angabe (wie meist), so ist diese durch Auslegung zu ermitteln. Liegt die Wechselbezüglichkeit vor, tritt eine weitreichende Bindung ein, deren Folge den Erblassern oft nicht bekannt ist: der überlebende Ehegatte kann nach dem Tode des anderen Ehegatten nämlich keine Verfügung mehr treffen, die die wechselbezügliche Verfügung beeinträchtigt – nach dem Tode des einen Ehegatten ist das Testament dann insoweit bindend geworden ist. Es empfiehlt sich aus diesem Grunde dringend, einen mit dem Erbrecht vertrauten Rechtsanwalt bei der Abfassung des Testamentes zu Rate zu ziehen.

    Das Oberlandesgericht Hamm hat am 11. September 2015 einen Fall entschieden, dem ein Testament zweier Eheleute zugrunde lag, das folgende Formulierung enthielt:

    „Nach dem Tode des Letztversterbenden soll die gesetzliche Erbfolge eintreten.“

    Zusätzlich gab es eine so genannte Pflichtteilsstrafklausel. Es stellt sich nun die Frage, ob diese Verfügung wechselbezüglich und damit bindend war. Das OLG Hamm verneinte dies und sah in dieser Formulierung keine bindende Schlusserbeneinsetzung. Zur Begründung stellt das Gericht zunächst fest, dass eine ausdrückliche Anordnung der Wechselbezüglichkeit nicht vorlag. Es prüfte deshalb weiter, ob sich die Wechselbezüglichkeit eventuell durch Auslegung ermitteln lässt. Maßgebendes Ziel bei der Auslegung ist immer die Ermittlung des Willens des Erblassers, der anhand von Anhaltspunkten festgestellt werden muss.

    In diesem Fall bot das Testament nur zwei Anhaltspunkte für den Willen des Erblassers: der eine war der Verweis die gesetzliche Erbfolge, der andere die Pflichtteilsstrafklausel. Betrachtet man jede einzelne dieser Regelungen für sich, so kommt man nach Auffassung des Gerichts nicht zu einer bindenden Schlusserbeneinsetzung. Insbesondere das Wort „soll“ sei mehrdeutig, sagt das Gericht und beginnt etwas, das oftmals als „typisch juristisch“ und als das größte Vergnügen des Anwalts, insbesondere im Erbrecht, bezeichnet wird: die Zerlegung eines einzelnen Wortes. Im juristischen Sprachgebrauch meint dieses Wort nämlich, so das Gericht, ein erwünschtes Verhalten ohne hierbei jedoch ein zwingendes Gebot zu sein. Im umgangssprachlichen Sinne jedoch kann „soll“ auch als zwingende Anordnung verstanden werden. Eindeutig ist das Wort damit nicht und weitere Anhaltspunkte für die Vorstellungen der Eheleute, die sie bei Abfassung ihres Testamentes gehabt haben könnten, ließen sich nicht finden – insbesondere auch keine außerhalb des Testamentes. Das Gericht gelangt daher zu dem Schluss, dass die Schlusserbfolge nicht bindend festgelegt wurde, denn der Erblasser hatte das Testament im Übrigen sprachlich sehr exakt abgefasst und war als Beamter des Auswärtigen Dienstes konsularisch geschult, so dass ihm die gesetzliche Erbfolge und der juristische Gebrauch durchaus bekannt gewesen waren. Es handelt sich hierbei nach Ansicht des Gesetzes lediglich um den Hinweis auf die von Gesetzes wegen ohnehin eintretende gesetzliche Erbfolge und nicht um eine gewillkürte Erbeinsetzung nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.

     

    Für alle Fragen rund um das Thema Erbrecht stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt jederzeit zur Verfügung.

     

    OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2015,15 W 142/15

    Häufig haben zwei Ehegatten den Wunsch, sich in einem Testament zunächst gegenseitig als Erben und nach dem Tod beider Ehegatten die Kinder einzusetzen. Dies ist das sog. „Berliner Testament“, das in der Regel als gemeinschaftliches Testament der Eheleute verfasst wird. Jedoch ist sowohl bei der Abfassung des Testaments als auch bei der Auslegung nach dem Tode extreme Vorsicht geboten: gemeinschaftliche Testamente sind nämlich ein gutes Beispiel dafür, dass bei einem eigentlich sehr einfach anmutenden Wunsch oftmals der Teufel im Detail steckt. Ein anschauliches Beispiel für eine solch scheinbare eindeutige Formulierung, die jedoch arge Schwierigkeiten bereitete, illustriert ein Fall, den das Oberlandesgericht Hamm im Februar 2015 entschieden hat.

    In einem gemeinschaftlichen Testament hatten sich zwei Ehegatten gegenseitig als Erben eingesetzt als bereits bekannt war, dass der Ehemann schwer erkrankt war. Es wurde weiterhin folgende Anordnung getroffen: bei dem Tode des Erstversterbenden erhält der Überlebende den gesamten Nachlass zur freien Verwaltung und Verfügung unter Lebenden. Auf unsere Kinder soll erst das übergehen, was bei dem Tode des Erstversterbenden übrig sein wird. Das Ehepaar hat zwei Kinder, der Ehemann hatte kein Vermögen, die Ehefrau hatte jedoch erhebliches eigenes Vermögen. Nach dem Tod des Ehemannes errichtete die Ehefrau ein weiteres Testament, in dem sie die gemeinsamen Kinder zu Erben zu je ½ einsetzte und eine Teilungsanordnung hinsichtlich ihrer Grundstücke vornahm. Eines der Kinder war der Meinung, dass die Mutter nicht mehr ein solches Testament errichten konnte, da sie durch das gemeinschaftliche Testament an einer abweichenden Testierung gehindert sei. Mit dieser Argumentation ist das Kind aber bei dem Oberlandesgericht nicht durchgedrungen.

    Charakteristikum des gemeinschaftlichen Testamentes ist– und das ist den Ehegatten oftmals nicht bewusst – eine Bindungswirkung, die das Testament herbeiführen kann. Ist eine der Verfügungen einem Testament wechselbezüglich, so kann nach dem Tode des einen Ehegatten der andere Ehegatte nicht mehr davon abweichen. Es stellt sich daher die Frage, ob die hier wörtlich wiedergebende Verfügung wechselbezüglich war. Dies ist immer der Fall, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Ob dies der Fall ist, regeln die Ehegatten im besten Falle selbst, indem sie ausdrücklich im Testament klarstellen, welche Verfügungen wechselbezüglich sein sollen und welche nicht. Vergessen sie dies, so ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Verfügung wechselbezüglich ist. Zur Auslegung müssen insbesondere auch die Lebensumstände der beiden Erblasser herangezogen werden. Da hier nichts festgelegt wurde, musste das Gericht die Verfügung auslegen und prüfen, ob das erste Testament die Erblasserin daran hinderte, eine Teilungsanordnung in dem zweiten Testament vorzunehmen. Das Gericht kam dabei zu dem Ergebnis, dass diese Verfügung im ersten Testament nicht wechselbezüglich war. Entscheidend war für das Gericht, dass den Ehegatten bei der Abfassung des Testamentes bekannt war, dass der Ehemann schwer erkrankt und die Ehefrau die Vermögende in dieser Beziehung war. Deshalb könne davon ausgegangen werden, dass die Ehefrau als wahrscheinlich Längerlebende und Vermögende keinen Grund hatte, sich in ihrer Testierfreiheit hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung einzuschränken. Dafür spricht auch der Halbsatz der Verfügung, dass „auf die Kinder das übergehen soll, was beim Tode des Letztversterbenden übrig sein wird“. Diese Formulierung ließ dem überlebenden Ehegatten sämtliche Freiheit über den Nachlass. Aus diesem Grunde war die Ehefrau berechtigt, die entsprechende Teilungsanordnung vorzunehmen.

    Dieses Urteil zeigt deutlich, wie sehr es bei der Auslegung auf die tatsächlichen Umstände ankommt. So sind immer auch die Vermögensverhältnisse der Ehegatten wie auch die Lebenssituation (hier die schwere Krankheit des Ehemannes) bei der Testamentsabfassung zu berücksichtigen.

    Als Rechtsanwalt stehe ich Ihnen bei allen Fragen zum Erbrecht zur Verfügung.

    OLG Hamm, Urteil vom 26. Februar 2015, 10 U 18/13

    Es gibt Konstellationen, in denen es notwendig werden kann, dass der eingesetzte Betreuer bei eingetretener Testierunfähigkeit die Verfügungen im Testament des Erblassers noch zu Lebzeiten anfechten kann. Die Anfechtung eines Testaments zu Lebzeiten des Erblassers durch den Erblasser selbst ist vor allem bei gemeinschaftlichen Testamenten von Ehegatten erforderlich, wenn der andere Ehegatte bereits verstorben ist und das Testament bindend geworden ist. Hier kann der überlebende Ehegatte aufgrund der eingetretenen Bindungswirkung nicht einfach neu testieren, sondern muss seine Verfügung anfechten. Grundsätzlich gilt auch, dass ein Testament nur höchstpersönlich, nicht aber durch Vertreter oder Betreuer gemacht werden kann. Ist der überlebende Ehegatte nun testierunfähig geworden und hat einen Betreuer, so wird vereinzelt vertreten, dass der Betreuer diese Verfügung anfechten kann (der Betreuer kann nach dieser Auffassung nur anfechten und natürlich kein neues Testament errichten!), da das Gesetz in § 2282 Abs. 2 BGB ein solches Anfechtungsrecht des Betreuers beim Erbvertrag ausdrücklich anerkennt, für das gemeinschaftliche Testament findet sich allerdings keine solche Regelung im Gesetz. Dieser Auffassung erteilt das OLG Bamberg in einem Beschluss vom 22. Mai 2015 eine Absage und hält fest, dass für eine analoge Anwendung der Vorschrift auf das gemeinschaftliche Testament kein Raum bleibe, da der Gesetzgeber sich der Problematik bewusst gewesen sei und diese Ausnahme nur auf den Erbvertrag beschränkt habe. Für diese Auffassung sprechen nach Ansicht des Gerichtes vor allem praktische Erwägungen, denn in erster Linie drohen Interessenkollisionen zwischen den Interessen des Betreuers und denen des Erblassers, da der Betreuer oftmals aus der Familie stammt und insofern selbst begünstigt wäre. Es besteht also keine Möglichkeit mehr, die eingetretene Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments auf diesem Wege zu beseitigen.

    Als Rechtsanwalt stehe ich für alle Frage zum Erbrecht gerne zur Verfügung.

    OLG Bamberg, Beschluss vom 22. Mai 2015, 4 W 16/14

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